Fortsetzung:
Faszination
zu seinem Beruf hatte ihn ergriffen. Noch während seiner Lehrjahre hatte
er sich mit Privatunterricht in Deutsch, Rechnen, Zeichnen und Musik
weiterbilden lassen. Ein Klavier musste er sich mieten. Sein Ehrgeiz,
auf dem eingeschlagenen Weg weiterzukommen und die eigenen Vorstellungen
verwirklichen zu können, führte dazu, im Jahre 1910 in Wehrendorf eine
eigene Orgelhaufirma zu gründen.
Die
wirtschaftlichen Voraussetzungen waren zwar nicht ideal, denn
Startkapital war in dem Sinn nicht vorhanden. Doch hatte die bekannte
Herforder Orgelbaufirma Meyer, deren Orgeln einen sehr guten Namen
hatten, aufgehört zu existieren. Diese Lücke galt es zu schließen. Mit
einem Tischler und einer Lehrkraft baute Gustav Steinmann das erste
Orgelwerk für die evangelisch-lutherische Kirche in Greven bei Münster.
Die Einweihung des „Opus 1" in der Firmengeschichte erfolgte zu
Pfingsten 1911.
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der die Produktion zum Erliegen
brachte, waren acht weitere Orgeln entstanden und die Firma bereits
durch den Bau einer neuen Werkstatt und eines Wohnhauses erweitert
worden. Die Mitarbeiterzahl war auf stattliche zehn angestiegen.
Gustav
Steinmann hatte zwar noch den klassischen Orgelbau kennengelernt, aber
seine Ausbildung war nach dem modernen Orgelbau ausgerichtet. Hier hatte
mit Beginn des 20. Jahrhunderts Luftdruck- und Elektrotechnik Einzug
gehalten. Auch war man von klassischen Werkstoffen wie Edelhölzern,
Kupfer und Blei-Zinnlegierungen auf einfachere Stoffe übergegangen.
Ebenso waren Veränderungen in der Pfeifenzusammenstellung zu den
einzelnen Klangregistern vorgenommen worden. Das Klangbild der
klassischen Orgel hatte sich nicht zum Vorteil verändert. Die moderne
Technik war wenig ausgereift.
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Steinmann studierte in den folgenden Jahren bei Restaurierungen und
Renovierungen den Bau der alten Orgeln und kam zu der Erkenntnis, dass
nur die Technik des Barock und der Klassik das Klangbild brachte, das
der Fachwelt als Ideal vorschwebte. Bis zu Beginn des zweiten
Weltkrieges verfolgte er konsequent diesen Weg. Sein Mitarbeiterstab
hatte sich zeitweise sogar auf vierzig erhöht, pendelte sich aber auf
dreißig ein. Von 1920 bis 1935 baute er auch 1500 Harmonien. Die
Produktion wurde dann aber mangels Nachfrage eingestellt. Eine
Zweigniederlassung entstand 1938 in Dessau
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Der Meisterbrief von Gustav
Steinmann jun. aus dem Jahr 1932. |
(Sachsen-Anhalt), die aber nach Kriegsende verloren war. 1932
verunglückte der für die Nachfolge vorgesehene Sohn Friedrich
tödlich. Bis 1940 hatten 115 Orgeln die Werkstatt in
Wehrendorfverlassen. Kirchen in der näheren Umgebung, in
Nordwestdeutschland und in fernen Ländern wie Südafrika,
Venezuela und den Philippinen erhielten Steinmann-Orgeln. Ob es
im Himmel auch so reine und schöne Klänge gebe, hatte damals ein
schwarzer Südafrikaner gefragt, der beim Aufbau einer Orgel
assistierte.
Als Gustav Steinmann am 5. Januar 1953 starb, hatte sich die
Umorientierung im Orgelbau vollzogen.
Die 195.
Orgel hatte die Werkstatt verlassen, und der Firmenname war in der
Fachwelt zum Begriff geworden. Gustav Steinmann hatte seine
Vorstellungen richtungsweisend durchsetzen können, was die
ausgezeichneten Gutachten der Fachwelt beweisen. Er wollte als gläubiger
Christ Mitarbeiter am Psalm 150 sein, leitete seit 1910 auch viele Jahre
den Wehrendorfer Kirchenchor und hatte sein Lebenswerk als Gottesdienst
verstanden, wie sein Grundsatz verdeutlicht:
„Orgelbauen soll Gott zur Ehre und den Menschen zur Erbauung dienen."
Als der Zweitälteste Sohn den väterlichen Betrieb übernahm und offiziell
den Vornamen des Vaters (Gustav jun. *1913
†1997) annahm, begann auch im Orgelbau der wirtschaftliche Aufschwung,
da viel durch den Krieg zerstört worden war. Sohn Gustav hatte beim
Vater nach seinem Abitur 1933 gelernt und leitete ab 1938 die Filiale in
Dessau. Zuvor besuchte er die Meisterschule in Ludwigsburg.
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Mit dem
Aufschwung ergaben sich nicht nur Erweiterungen des Betriebes, sondern
auch verstärkte Forschung und Zusammenarbeit mit Orgelwissenschaftlern
sowie Untersuchungen der technischen Einrichtungen, der Materialwahl und
der Legierungen der Metallpfeifen. Wichtig waren auch architektonische
Fragen, die mit akustischen, musikalischen Qualitätsansprüchen optimal
verbunden werden mussten. Jahrzehntelange Erfahrung an Orgeln aus dem
18. Jahrhundert, die die Firma oft restauriert hatte, brachten auch hier
Aufträge ins Haus. Gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt, Architekten und
Kirchenvorständen konnte manches schöne Stück erhalten oder eine neue
Orgel in alte Kirchen eingepasst werden. Als
Gustav Steinmann 1978 in den Ruhestand trat, übergab er seinem Sohn
Hans-Heinrich (geb. 1938 ) einen wirtschaftlich gesunden und
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Jan-Henrich
Steinmann, er führt die Firma in der vierten Generation. Foto:
2010.
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auch in der internationalen Fachwelt bekannten Betrieb mit 640
Quadratmetern Arbeitsraum sowie den Auftrag für die 556. Orgel der
Steinmannära. |
Auf den Sohn, der dritten Generation
des
Familienbetriebes, warteten neue Aufgaben. Die Neubauaufträge gingen
zurück, während Umbauten, Generalüberholungen und Restaurierungen in den
Vordergrund rückten. Im Jubiläumsjahr (1985)
unserer Stadt und der Firma Steinmann hat die 618. Orgel den Weg von
Wehrendorf zu ihrer Bestimmungskirche angetreten. Auch scheint die
vierte Generation der Firma gesichert zu sein, die die Kunst des
Orgelbaus weiterführt. Der Grundsatz des Gründers ist bis heute erhalten
geblieben und war Leitfaden für die Arbeit seiner Nachfolger. Im Jahr
2000 trat Jan-Henrich Steinmann (geb. 1972) die Nachfolge an. Trotz
maschineller Hilfe ist Orgelbau auch heute nicht nur Handwerk, sondern
gestaltende Kunst. Heute (2010) beschäftigt die Firma Orgel-Steinmann 3
Personen.
Bereits 1726
erkannte der Musikschriftsteller Jakob Adlung (1699-1762):
„Die
Orgelmacherkunst Sie erfordert einen guten Grund in der Mathematik, weil
sie stets mit Aus- und Abmessungen zu thun hat. Es gehören viel
Handwerke dazu. Es muß einer ein guter Tischler, Klempner, Schmied usw.
sein. Nicht weniger muß auch ein guter Orgelmacher die Metalle und
Holzarten aus der Physik verstehen; er muß drechseln können; sonderlich
aber wird erfordert, daß er die Architektur gründlich inne habe. Es
haben auch die Orgelmacher desfalls besondere Privilegia, und heißet die
Sache kein Handwerk, sondern eine Kunst.“
Peter
Sundermann
Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung (Lothar
Stöpel und Peter Sundermann),
dem Buch „800 Jahre Vlotho“ (1985) entnommen. Dieses Buch ist nicht mehr
im Handel erhältlich.
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Moderne Maschinen, eine gut ausgestatte
Werkstatt und langjährige Mitarbeiter, wie hier bei Orgel-Steinmann,
sind für die Herstellung hochwertiger Produkte die Voraussetzung.
Rechts: Jan-Henrich Steinmann.
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