Filmmetropole Vlotho

 

Schon im Frühjahr 1943 hatte der Ufa-Verleihbetrieb in Düsseldorf Verhandlungen wegen einer Übersiedlung nach Herford aufgenommen. Für die Mitarbeiter waren Privatunterkünfte in Vlotho angemietet worden. Die Gefahr, in Düsseldorf ausgebombt zu werden, war den Ufa-Verantwortlichen zu groß geworden. Nicht zu Unrecht sorgten sie sich, denn zu Pfingsten desselben Jahres ging ein Bombenhagel auf die rheinische Stadt nieder, der das Gebäude der Ufa schwer traf. Der Umzug nach Ostwestfalen erfolgte nun in aller Eile. Fast zwei Jahre arbeitete der Ufa-Verleih in Herford, als zum

 

Ende des Krieges auch hier die Bomben einschlugen. Sie siedelte vollends nach Vlotho in die Fabrik der Firma Stübbe an der Herforder Straße über. Am 8. Mai 1945 musste das Großdeutsche Reich kapitulieren. Wie alles brach auch die Ufa zusammen. Die Siegermächte teilten sich das Reich. Vlotho lag im britisch regierten Sektor. In Bad Oeynhausen hatten die Briten ihr Hauptquartier. Und unter den englischen Offizieren waren einige alte Filmhasen, die sofort  reagierten, als sie von

 

Gebäude Stübbe an der Herforder Str. 26,

war erste UFA-Station in Vlotho.

der Ufa in Vlotho hörten. Sie setzten sich in ihre Jeeps, fuhren in die Weserstadt und hielten die Leute auf der Straße an, um sie nach dem Verbleib der Ufa-Mannschaft zu befragen.

Es dauerte gar nicht lange, bis sie sie gefunden hatten. Die Ufa-Mannschaft traute ihren Ohren kaum, als sie den englischen Vorschlag hörten, das Filmgeschäft wieder anzukurbeln. Außerdem sagten die Briten jede erdenkliche Hilfe zu. Die Arbeit konnte wieder beginnen. Mit englischen Lastwagen schaffte man alle noch halbwegs intakten Filme und Filmmaschinen aus den Kinos und Gaubildstellen zwischen Ostfriesland

 

und dem Sauerland nach Vlotho. Die Ohlesche Villa an der Weserstraße Nr. 26 wurde zum Sitz der neugegründeten Ufa-Handelsgesellschaft. Der Ufa-Verleih blieb an der Herforder Straße. Ein Musterkino mit 35 Plätzen entstand in den Tintelnotschen Garagen, ein zweites in der Gaststätte Felsenkeller, das später als „Capitol" bestehen blieb. Ebenfalls entstanden in den Tintelnotschen Garagen ein Cutter- und ein Kleberaum. Denn einen Haken hatte die ganze Sache. Alle

Villa Bonnemeier an der Weserstraße.

Sitz der UFA.

Filme mussten durch eine strenge englische Zensur, bevor sie wieder in den Verleih kamen. Politische Szenen und nationalsozialistische Embleme mussten rausgeschnitten werden. Viele Kilometer Film liefen durch die prüfenden Hände der Kleberinnen. Ebensoviel zog vor den Augen der Frauen in der Zensur vorbei. Ein grandioser Aufbau begann, der vielen Vlothoern Arbeit und Brot brachte und nach der Währungsreform den ortsansässigen Banken auch Kapital. Die Ufa-Film GmbH, Dachorganisation der gesamten deutschen Filmwelt, zog von Berlin in das Schloß Varenholz, an ihrer Spitze Dr. Hermann Schwerin. Es entstand die Ufa-Landfilmgesellschaft, die mit transportablen Filmgeräten über Land und Städte und Dörfer ohne eigenes Kino fuhren. Die Filmvorführungen fanden in den Sälen der Gemeindehäuser oder Gaststätten statt. Die Filmmetropole im Wesertal war nahezu komplett, als sich im Windschatten des Geschehens auf Gut Deesberg die eigenständige Filmkopieranstalt Heidenheim gründete.

In Varenholz glühten die Telefonleitungen, Deutschlands Filmwelt wollte wissen, was los war. Vor allen Dingen stand die Frage nach neuen Produktionen im Vordergrund. Doch da geschah kaum etwas. Nicht nur, weil kein geeignetes Gelände zur Verfügung stand, sondern die englischen Besatzer achteten auch darauf, dass die Ufa nicht zu groß wurde. Schließlich gab es eigene Filmunternehmen im Mutterland.

 

 

 

Viele kleine Anekdoten wissen die Vlothoer heute noch zu erzählen. So saß der damals noch unbekannte Hardy Krüger immer im Vorführraum, wenn die Arbeitskopien des Tages gezeigt wurden. Und Hildegard Knef

 

Hildegard Knef

 

 

Hardy Krüger

 

 

Grethe Weiser

 

lief gern barfuss durch den Kleberaum. Während der  Schwerin-Ära weilte auch dessen ständige Begleiterin und spätere Ehefrau Grethe Weiser in Vlotho. Für nur wenige Tage war Camilla Horn in der Weserstadt zu Gast.

Die Hauptarbeit der Vlothoer Nachkriegs-Ufa bestand darin, alte Filme auf Brauchbarkeit und Inhalt zu prüfen. Sie wurden wiederhergestellt, verwaltet, katalogisiert und verliehen. Die ersten Filmtheater öffneten bereits im Juni 1945 ihre Tore. Doch nicht nur die Erwachsenen konnten wieder ins Kino gehen. In Vlotho selbst sorgte ein netter englischer Offizier dafür, dass zumindest Vlothos Kinder jeden Sonntag einen lustigen Film sehen konnten. Bereits Stunden vor Beginn der Vorstellung standen sie Schlange. Es gelang dem Offizier jedes mal, mehr als 70 Kinder in dem kleinen Musterkino unterzubringen. Aber nicht nur das Filmgeschäft blühte in Vlotho. Einen enormen Aufschwung erlebte der Tauschhandel. Die Fahrer, die Filme von und nach Ostfriesland und dem Sauerland transportierten, kamen nie mit leerem Wagen zurück.

Die Ufa-Mannschaft war eine große Familie. Das zeigte sich an dem gemeinsamen Mittagstisch im Hotel Lütke oder bei Betriebsausflügen der Varenholzer Verwaltung. Gut sechs Jahre dauerte die Vlothoer Film-Ära. 1952 zog auch der letzte Betrieb wieder nach Düsseldorf.

 

Peter Sundermann

 

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung (Lothar Stöpel und Peter Sundermann),

dem Buch „800 Jahre Vlotho“ (1985) entnommen.  Dieses Buch ist nicht mehr im Handel erhältlich.

 

 

1947 fanden tatsächlich Filmaufnahmen im Vlothoer Hafen statt. Aber nicht die Ufa war Produzent, sondern „Studio 45-Film, Berlin." Die Schlüsselszene des Spielfilms „Zugvögel" spielte am angegebenen Ort: Erstmals taucht in diesem nur 80 Minuten langen Streifen der bekannte Schauspieler Carl Raddatz auf. Und in einer anderen Szene im Vlothoer Hafen ist die zerstörte Weserbrücke auf Vlothoer und Uffelner Seite zu erkennen. Neben Carl

 

Eine Ufa-Anzeige, die am

26. September 1945

in der "Neue Westfälische Zeitung" erschien.

 

Raddatz stand mit Lotte Koch eine damals ebenfalls bekannte Darstellerin vor den Filmkameras. Sie erreichte übrigens das stolze Alter von 100 Jahren und verstarb 2013. Einige Motive dieses Spielfilms wurden an der Oberweser gedreht.

Regisseur Rolf Meyer soll diesen Film maßgeblich selbst finanziert haben. Dr. Hermann Schwerin war an der Finanzierung des Films „Zugvögel" beteiligt.

 

Niemals in Vlotho zu Ufa-Zeiten zu Gast war dagegen Ilse Werner. Sie war auch nicht befreundet mit Änne Lütke aus dem gleichnamigen Vlothoer Hotel. Das erklärte sie dem Redakteur de „Vlothoer Anzeigers“, Hans-Ulrich Krause, am 21. Oktober 1995 nach ihrem Galakonzert im Kurtheater Bad Salzuflen auf Anfrage. Ilse Werner hat vielmehr in späteren Jahren einmal im Hotel Lütke gegessen. Dort entstand das Foto, dass den einstigen Ufa-Star Ilse Werner neben Änne Lütke zeigt.

 

In früheren Zeitungsartikeln wurde auch behauptet, dass die Ufa in ihrer Vlothoer und Varenholzer Zeit den Film „Das blaue Band der Weser" produziert hätte. Auch das ist falsch. Einerseits durfte die Ufa noch nicht wieder selbst produzieren, und andererseits verzeichnet nicht ein Filmlexikon einen Streifen dieses Namens. Es hat ihn also nicht gegeben.

Dass Grethe Weiser im Varenholzer Schloss ihren späteren Mann Dr. Hermann Schwerin oftmals besucht hat, haben dagegen Zeitzeugen bestätigt.

 

Texterweiterung und Richtigstellung:

Hans-Ulrich Krause (2015)

 

 

Carl Raddatz

 

 

Lotte Koch

 

Filmankündigungsplakat, so wie es damals in den Kinoschaukästen angebracht war.

Repro: Hans-Ulrich Krause

 

Links: Eine Szene aus dem Film "Zugvögel" im Vlothoer Hafen. An der rechten Seite ist noch ein Teil der zerstörten Weserbrücke auf Uffelner Seite sichtbar. Dieser Film wurde 1947 gedreht und wurde danach in den deutschen Kinos gezeigt. Eine weitere Wiederaufführung fand im Jahr 2000 noch einmal in der Vlothoer Kulturfabrik statt.

 

Sammlung dieser Abbildungen: Hans-Ulrich Krause

 

 

 

 

Kopie eines Ufa-Briefkopfes von 1946.

 

Erklärung zum Briefkopf:

Depositenkassen kaum noch verwendete Bezeichnung für Zweigstellen von Sparkassen und Geschäftsbanken, die Spareinlagen und Depositen entgegennehmen, den Zahlungsverkehr für die Bankkunden betreiben, aber nur in beschränktem Umfang selbständig Kredite gewähren.